Alain Badiou: Versuch, die Jugend zu verderben, und Alain Badiou: Rede an die Jugend

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Getreu der interventionistischen Tradition französischer Linksintellektueller wendet sich der Mathematiker und Philosoph Alain Badiou immer wieder mit Reden an verschiedene Gruppen und Bewegungen. In einem schmalen Büchlein ist nun auf Deutsch eine Rede an die Jugend (2019) greifbar, die zusammen mit dem 2016 erschienen Buch Versuch, die Jugend zu verderben Badious Selbstverständnis zum Ausdruck bringt, Philosophie nutzbar zu machen für die aktuelle Situation und die Kämpfe der Jugend.  Da sich in diesen Reden einige grossartige Analysen finden sowie einige wichtige kritische Überlegungen zur Jugend, kann man Badiou die anbiedernde Selbststilisierung als sokratischer Weiser  der überdies damit kokettiert, dass ein alter weisser Mann der multidiversen Jugend etwas Wissenswertes auf den Weg geben will – nachsehen.

Die Unterscheidungen und Metaphern Badious, die er in diesen Reden entwickelt, treffen zweifellos den Kern der Situation junger Menschen in Europa: Erstens die sich widersprechenden Strebungen, einerseits sein Leben im Konsumrausch der totalen Gegenwart bzw. «nihilistischer Unmittelbarkeit» zu «verbrennen» und es andererseits einzig hinsichtlich einer erfolgreichen Zukunft in Wohlstand und Ansehen zu «konstruieren» (2016, S. 17). Dieses führt zur unkritischen Stabilisierung des Bestehenden, jenes zur Vernichtung der eigenen Lebensgrundlagen und derjenigen der anderen. Daran schliesst Badiou den Aufruf an, sich nicht im Hamsterrad dieses Dilemmas zu verfangen, sich nicht in den falschen Alternativen, die das Rückgrat der postkapitalistischen Gesellschaft bilden, aufzureiben und damit die herrschenden Machtverhältnisse zu perpetuieren.

Eine zweite treffende Metapher, die Badiou in dieser ersten Rede einsetzt, ist die der Jugend als verlassenes und seines Auftrags entledigten Söldnerheers, das orientierungslos die Irrfahrt nach Hause antreten will. Das Bild des Söldnerheers tritt als drittes neben die Prostituierten und die Marketingabteilungen: Zusammen bilden sie die Trias der Grundtypen im Kapitalismus, welcher  drei existentielle Ausdrucksmittel einer gelingenden Menschwerdung –  den Kampf, die Liebe und das Wort – nur in fremdem, gewinngetriebenem Auftragsverhältnis gelten lässt.