"Als Genossenschafterin fühle ich mich sicherer"
Wie sich New Yorker Care-Arbeiter*innen mit Kooperativen selbstermächtigen [1]
«Es gibt viele Chefs, die uns Migrantinnen ausnutzen. Manchmal bezahlen sie dich, manchmal nicht. In der Kooperative ist das anders. Wir sind alle Inhaberinnen und Arbeiterinnen. Wir haben alle eine Stimme.» (Silvia,[i] 44)
In selbstorganisierten Arbeiter*innenkooperativen (engl. «Worker Cooperatives»)[ii] stehen die Arbeiter*innen und deren Bedürfnisse im Zentrum des Betriebs. Alle Arbeiter*innen sind Betriebseigentümer*innen und bestimmen so kollektiv über dessen Organisation. Insbesondere in prekären Arbeitsbereichen wie im gemeinhin unter Care-Arbeit zusammengefassten Reinigungs- und Pflegebereich bieten Kooperativen grosses Potential. Bezahlte Care-Arbeit impliziert neben schlechten Löhnen meist auch lange Arbeitstage, unzureichende Arbeitsausrüstung und Isolation – Gründe, warum die Arbeit zu überwiegenden Teilen an Migrantinnen ausgelagert wird. In New York City (NYC) stösst daher das Kooperativen-Modell insbesondere im Care-Bereich auf immer mehr Interesse. Während sieben Monaten qualitativer Feldforschung zwischen 2018 und 2019 untersuchte ich Veränderungen im Alltag von Migrantinnen nach deren Eintritt in solche Reinigungs- und Pflegearbeiter*innenkooperativen in NYC. Die kollektive Betriebsführung ermöglicht Care-Arbeiter*innenkooperativen nicht nur bessere Löhne, sondern öffnet Räume der Selbstermächtigung, die weit über den finanziellen Bereich hinausgehen. Nachfolgend diskutiere ich das Potential dieser Genossenschaften bezüglich Selbstermächtigung von Migrantinnen in unterschiedlichen Lebensbereichen.
Prekarität und Marginalisierung entgegenwirken
Strukturelle Diskriminierung und administrative Hürden erschweren vielen Migrant*innen den Zugang zu gutbezahlter und sicherer Arbeit. Wie in vielen anderen Metropolen wurde auch in NYC mit einer starken Arbeitsmarktpolarisierung eine wachsende Nachfrage nach Niedriglohnarbeiter*innen geschaffen, die zu einem grossen Teil durch Migrant*innen aus dem globalen Süden gedeckt wird (Sassen 1991). Im Zuge neoliberaler Politiken nahm nicht nur die armutsbedingte internationale Migration zu, auch die Prekarität niedrig bezahlter Arbeit in den USA stieg rasant an (Herod / Aguiar 2006). Mangelhafte staatliche Vorschriften im Arbeitsrecht zusammen mit stetiger Immigration ermöglichten es Arbeitgeber*innen, freie Stellen zu besetzen, ohne die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
[1] Eine abgeänderte und ins Englische übersetzte Version dieses Artikels erscheint in der Online-Zeitschrift Metropolitics (www.metropolitiques.eu).
[i] Die Zitate wurden aus dem Spanischen oder Englischen von der Autorin übersetzt. Die Namen wurden anonymisiert.
[ii] Im Bereich von Care-Kooperativen, die von Migrant*innen geführt werden, nimmt NYC eine Pionierrolle ein. Arbeiter*innenkooperativen werden im deutschsprachigen Raum auch Mitarbeiter*innengenossenschaften genannt. In der Schweiz gibt es diesbezügliche Bestrebungen in Basel: Migrantinnen planen zusammen mit dem Verein Crescenda die Lancierung einer Kooperative im Herbst 2020.