Cristina Cattaneo: Namen statt Nummern

Daniel Scherf
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In Lampedusa betreibt das Kollektiv Askavusa einen Raum, PortoM genannt. M steht dabei für Mediterraneo, Migrazioni, Militarizzazione, Memoria, Mare, Madre. PortoM beinhaltet auch einen Ausstellungsraum mit Objekten von MigrantInnen, von Askavusa am Strand oder auf dem sogenannten Schiffsfriedhof gesammelt und gereinigt. Gegenstände wie Kleider, Schuhe, Getränkeverpackungen, Zahnpastatuben, Banknoten bis hin zu Briefen und Koranen. 2014 war während der 1. Mai-Feiern ein Teil davon auch in der Alten Kaserne in Zürich zu sehen.

An dieses Museum, das keines sein will, erinnert der Buchumschlag von Cristina Cattaneos Namen statt Nummern, auf der Titelseite ein Plastikbeutelchen mit SIM-Karte, Medikamenten und Euro-Scheinen, auf der Rückseite eine Zahnbürste, nummeriert mit 390 065. Und hinter beiden, sowohl von PortoM in Lampedusa wie auch diesem Buch aus dem Rotpunktverlag, steht derselbe Grundgedanke: den Menschen auf der Flucht, ob lebendig oder tot, ihre Würde zurückzugeben.

Das Schiffsunglück vom 3. Oktober 2013 mit 366 Toten, nur wenige hundert Meter vor der Küste Lampedusas, war für Cristina Cattaneo ein tief prägendes Erlebnis, und so beginnt auch das erste Kapitel: «Oktober 2013 - den Toten einen Namen geben» (S. 15). Cattaneo ist «auf der Suche nach den Opfern des Mittelmeers», wie der Untertitel des Buches heisst. Ihr Beruf: Forensikerin, Rechtsmedizinerin. Was in ihrem Mailänder Labor für forensische Anthropologie und Zahnmedizin Alltag ist, «menschlichen Überresten eine Geschichte, eine Identität und sogar ihre Würde zurückzugeben» (S. 18), ist bei den auf der Flucht im Mittelmeer ertrunkenen Menschen nie gemacht worden.

«Dabei weiss man, was es für Angehörige bedeutet, wenn sie in Ungewissheit über den Verbleib ihrer Liebsten leben müssen. Ohne Klarheit über den Tod können sie nicht anfangen zu trauern», meinte Cristina Cattaneo kürzlich in einem Interview in Bern mit der Aargauer Zeitung (16.5.2020). Und wiewohl die universellen Bestimmungen des humanitären Völkerrechtes und der Menschenrechte verlangen, dass Tote ihren Namen zurückbekommen, wird auf Opferidentifizierung nur zu gerne verzichtet. Das ist allerdings nicht immer so, wie Cattaneo feststellt: «Ich kann mich noch gut erinnern, wie in den Tagen nach dem Tsunami von Phuket in den Mailinglisten einschlägiger staatlicher und nicht staatlicher Organisationen Hunderte von Expertinnen und Experten anboten, sofort hinzureisen, um Hilfe zu leisten." (S. 34)