Das überraschende Überleben der Arbeitgeber- und Wirtschaftsorganisationen

Andreas Rieger
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Ähnlich dem Diskurs über den Niedergang der Gewerkschaften dominiert in der Öffentlichkeit die Rede vom Zerfall der schweizerischen Arbeitgeber und Wirtschaftsorganisationen. Globalisierung, Privatisierung und entfesselte Konkurrenz hätten das dichte System von Branchen- und Dachorganisationen der Wirtschaft erodieren lassen. Dieses liege heute «in Trümmern» (Daum/Pörtner/Teuwsen 2014, 16). Der angebliche Bedeutungsverlust dieser Verbände hat das Interesse erlahmen lassen, über sie zu forschen. Seit Anfang der 2000er-Jahre gibt es nur noch wenige Untersuchungen – zu Unrecht, denn im Hintergrund bleibt das Wirken dieser Organisationen weiterhin zentral für Wirtschaft und Politik in der Schweiz.
Das schweizerische Gefüge der Wirtschaftsverbände hatte seinen Höhepunkt unbestrittenermassen in den 1960er- und 1970er-Jahren. Die inlandorientierten Verbände hatten das entscheidende Wort bei den Regulierungen des Binnenmarktes, während die Verbände der exportorientierten Industrie die Aussenwirtschafts-, Infrastruktur- und Forschungspolitik und ähnliches bestimmten. Verbände der Banken und Versicherungen prägten die Regulierungen der Finanzwirtschaft. In vielen Bereichen übernahmen die Verbände staatliche Aufgaben: So in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, in der Durchführung von Sozialversicherungen (unter anderem AHV-Ausgleichskassen, Kinderzulagen), Branchen- und Berufszulassungen, Normendefinitionen, Prüfungen et cetera. Im Konfliktfall entschieden oft Verbandsschiedsgerichte und private Handelsgerichte. Zusammengefasst waren die Verbände in der mächtigen Dachorganisation der schweizerischen Industrie und Handelskammern (Vorort) sowie im Schweizerischen