Der Bund ist kein Haushalt

Christian Arnsperger
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Seit dem Frühjahr 2020 stehen wir vor der doppelten Notwendigkeit, eine Vielzahl von Akteuren und Wirtschaftszweigen massiv mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen und die Zusammensetzung unserer wirtschaftlichen Aktivitäten auf längere Sicht neu zu überdenken. Erst kürzlich, im Juli 2021, behauptete die Leiterin der Eidgenössischen Finanzverwaltung im Schweizer Fernsehen, die fiskalische Disziplin der Schweiz habe es ermöglicht, «effektiv zu handeln»: «Länder wie Spanien oder Italien, die mit hohen Schulden in diese Krise gegangen sind, waren nicht in der Lage, ihre Wirtschaft zu stützen, wie es die Schweiz tun konnte. Das ist die Fabel von der Heuschrecke und der Ameise. Man muss in den guten Jahren sparen, um in Zeiten der Krise etwas ausgeben zu können.»

Ganz abgesehen von den zutiefst kulturalistischen, herablassenden Untertönen einer solchen Äusserung – das allzu müde Thema der angeblichen südländischen Fahrlässigkeit –, zeugt sie von einem Mangel an Verständnis, der mittlerweile endemisch geworden ist, was die Besonderheit der Situation der südeuropäischen Länder innerhalb der Eurozone wie auch im Vergleich zur Schweiz betrifft. Als ich im Februar 2021 mit etwa 150 europäischen Kolleg*innen (darunter dem Franzosen Thomas Piketty) einen Aufruf zum öffentlichen Schuldenerlass durch die Europäische Zentralbank (EZB) innerhalb der EU unterzeichnete, tauchte sofort in der konservativen Neuen Zürcher Zeitung eine weitere Karikatur auf: Wir seien allesamt «linke Ökonomen», welche als «Brandstifter» mit «Hirngespinsten» daherkämen, keinen Sinn für wirtschaftliche Realitäten hätten und irgendwie dächten, das Geld wachse auf Bäumen und sei stets unbegrenzt vorhanden.