Eine verlorene Covid-19- Generation?
Statt Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, werden im neoliberalen Regime ungleiche Chancen von Jugendlichen in der Lehre indi viduell abgefedert. Verschärft durch die Covid19Krise, hat dies für die Auszubildenden erhebliche Konsequenzen.
Wie stark wird das Schweizer Berufsbildungssystem von einem neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsbild geprägt und wie wirkt sich dies auf die Arbeits- und Lebensrealität von jungen Menschen aus? Wie manifestieren sich zudem neoliberale Tendenzen in der Covid-19-Krise? Diesen Themen soll im Folgenden nachgegangen werden.
Neoliberalismus als Fundament unseres ungleichen Berufsbildungssystems
Bereits ein Blick ins Berufsbildungsgesetz (BBG, Art. 15d) und in die Verfassung (BV, Art. 41g) lässt erkennen, dass im Schweizer Bildungssystem neoliberale Erwägungen vor sozialen und humanistischen Bestrebungen kommen. Neoliberalismus wird im Allgemeinen mit der Wirksamkeit des Marktes definiert, wo der Staat nur die Rahmenbedingungen festlegt und selbst möglichst wenig interveniert. Im Zentrum steht, dass die Verantwortung für jegliches Handeln an das einzelne Individuum delegiert wird (Brown 2015, 17f.). Brown (ebd., 23) spricht im Zusammenhang mit dem westlichen Bildungsideal von einer neoliberalen Ökonomisierung des Individuums. Der individuelle Wert der Bildung ist somit nicht in einer idealistischen, humanistischen Möglichkeit zur Selbstverwirklichung zu finden, sondern begründet sich in erster Linie in der Anhäufung von Humankapital. Dieses soll wiederum nützlich für den Markt sein und den Individuen ermöglichen, marktkonform zu agieren - ein Gesellschaftsbild mit erheblichen Konsequenzen für junge Menschen: Der Auftrag des Berufsbildungssystems ist es, die Jugendlichen darin zu fördern, der Wirtschaft zu dienen (Berufsbildungsgesetz, BBG, Art 3a). Dabei werden die Auszubildenden auf ihre wirtschaftliche Rolle reduziert, wie es auch das Staatsekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI erläutert:
«Auf dem Lehrstellenmarkt treffen sich die Angebote der Unternehmen und die Nachfrage der Jugendlichen. Der Staat hat eine Mittlerrolle: Er sorgt für optimale Rahmenbedingungen für die Unternehmen, fördert das Lehrstellenangebot und unterstützt die Jugendlichen im Berufswahlprozess.» (SBFI, 2020a)