Gemeinschaftlich wirtschaften – feministisch gedacht

Johanna Herrigel
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Feministische Ansätze leisten fundamentale Beiträge in aktuellen Debatten zur Akkumulation durch Enteignung, einem essentiellen Bestandteil des Kapitalismus, und dem Verhältnis zwischen Kapitalismus und nichtkapitalistischen Lebens- und Produktionsformen. Es ist unmöglich, der Breite und Tiefe solcher feministischen Analysen hier gerecht zu werden. Daher skizziere ich im Folgenden anhand dreier ausgewählter Beispiele Argumente feministischer Theoretikerinnen, welche für die laufenden Diskussionen besonders zentral sind. Ausgangspunkt ist Rosa Luxemburg und ihr Argument der Notwendigkeit sogenannter nichtkapitalistischer Milieus für den Kapitalismus, die eine ständige Akkumulation durch Enteignung ermöglichen. Aufbauend auf Luxemburg argumentieren Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof, dass der Kapitalismus auf der fortlaufenden Schaffung und Enteignung interner Kolonien beruht, das heisst vor allem von Menschen ehemaliger Kolonien, Frauen und der Natur. Silvia Federici argumentiert schliesslich, dass insbesondere die Enteignung von Gemeinschaftsgütern («commons») im Kapitalismus zentral ist, und diskutiert inwiefern Vergesellschaftung («commoning») antikapitalistisch sein kann.

 

Nichtkapitalistische Milieus im Kapitalismus

Vor rund hundert Jahren erschien Rosa Luxemburgs Hauptwerk Die Akkumulation des Kapitals (1921). Darin zeigt sie auf, dass der Kapitalismus nicht nur, wie Marx argumentiert, in seinen Anfängen, sondern fortlaufend von der Enteignung und Ausbeutung «nichtkapitalisticher Milieus», und somit von einer fortdauernden sogenannten «primitiven Akkumulation», abhängig ist. Luxemburg argumentiert, «dass der Kapitalismus auch in seiner vollen Reife in jeder Beziehung auf die gleichzeitige Existenz nichtkapitalistischer Schichten und Gesellschaften angewiesen ist» (ebd., 286). Nichtkapitalistische Milieus sind laut Luxemburg (ebd., 290) auf Naturalwirtschaft basierende Gesellschaften mit Wirtschaftsformen wie «Sklavenwirtschaft […], Feudalismus […], primitivem Kommunismus [...] [und] patriarchalischer Bauernwirtschaft» sowie die im Kolonialismus und Imperialismus ausgebeuteten Kolonien. Da die kapitalistische Produktion Konsum- und Produktionsmittel «über den eigenen (der Arbeiter und Kapitalisten) Bedarf hinaus» liefert, ist ein «Kreis von Abnehmern ausserhalb der kapitalistischen Gesellschaft» erforderlich (ebd., 273f.). Nichtkapitalistische Milieus fungieren laut Luxemburg im Kapitalismus somit als «Absatzmarkt [...] für das ‹überschüssige Produkt›» (ebd., 286). Auch die im Kapitalismus zirkulierenden Waren – Produktionsmittel und Konsumgüter – müssen laut Luxemburg nicht sämtlich in kapitalistischen Produktionsverhältnissen entstehen. Anhand verschiedener Beispiele zeigt sie auf, «wie sehr die Kapitalakkumulation […] tatsächlich an nichtkapitalistische Kreise gebunden ist» (ebd., 279) sowie vom «Bezug von erforderlichen Arbeitskräften aus nichtkapitalistischen Gesellschaften» (ebd., 278). Kapitalismus bedingt in seiner Funktionsweise laut Luxemburg also «die unumschränkte Verfügungsmöglichkeit über alle Arbeitskräfte des Erdrunds, um mit ihnen alle Produktivkräfte der Erde […] mobil zu machen» (ebd. 284), aus kapitalistischen und nichtkapitalistischen Gesellschaften.