Klassismus: Ideologiekritik als Ideologie

Fabian Nehring
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«Klassismus» bezeichnet Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft oder Position. Autor*innen, die sich auf (Anti-)Klassismus beziehen, wollen Klassismus als eine Form der Diskriminierung analog zu zum Beispiel Sexismus und Rassismus verstanden wissen. Auch wenn der Begriff vereinzelt vorher auftauchte (Kemper 2016, 8), war es das lesbische Frauenkollektiv The Furies Collective, in deren Texten der Begriff des «classism» geprägt wurde. Die «Klassenunterschiede» zwischen «lower class» und «middle class women» würden laut den Furies verhindern, dass Frauen eine Einheitsfront gegen die Unterdrückung durch Männer bilden könnten (Myron 1972, 2). Grössere Aufmerksamkeit hat der Begriff, seitdem er in den Feuilletons grosser Zeitungen diskutiert wird. Auch in linken Medien wird der Begriff aufgrund der zunehmenden Aufmerksamkeit kritisch diskutiert. Die Autor*innen und Journalist*innen, die positiv über das Konzept des (Anti-)Klassismus schrieben, wurden oder fühlten sich selbst oft aufgrund ihrer sozialen Herkunft diskriminiert, abgewertet, ausgegrenzt oder marginalisiert. In ihren Beiträgen ist oft die eigene Erfahrung, die eigene «Klassenscham» (Wochnik 2021), Anknüpfungspunkt zur Haltung bezüglich (Anti-)Klassismus. Subjektiv wahrgenommene Fremdheit an der Universität, Angst, Scham, Armut und Mangel kommen zur Sprache. Kritik kommt ebenfalls aus den Feuilletons, aber auch aus dem etablierten Wissenschaftsbetrieb. So bezeichnet der Armutsforscher Christoph Butterwegge «schon den Begriff als ‹unglücklich›» und den Ansatz als «kontraproduktive» Verharmlosung der sozialen Frage (Becker/Frank 2021, 110). Kritik kommt auch aus der marxistisch orientierten Linken, die den lebensweltlichen und individualisierten Zugang zu «Diskriminierung» aufgrund der Herkunft kritisiert (Pape 2021, 10).

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