Mit der MMT über die MMT hinaus
Die neoliberalen Glaubenssätze von der prinzipiellen Überlegenheit des Marktes gegenüber allen andern ökonomischen Lenkungsverfahren (insbesondere allen demokratischen) haben zu einer Entwaffnung der Politik – und gerade auch der bürgerlichen Politik – geführt. Im Ergebnis weisen bürgerliche Politikkonzepte kaum mehr positive Vorstellungen von Staat, Demokratie und Zivilgesellschaft auf, und auch weite Teile der internationalen Sozialdemokratie haben diesbezüglich erheblich an politischer Substanz verloren. Fast immer macht es ja der «Markt» besser. Dem «Staat» bleibt lediglich die Sicherung von günstigen Rahmenbedingungen und die Rolle des Lückenbüssers im Falle von «Marktversagen». Nach vielen Jahrzehnten einer solch politikfeindlichen Haltung fällt es den bürgerlichen Kräften heute deshalb schwer, eine Re-Politisierung ökonomisch-gesellschaftlicher Fragen zuzulassen. Dazu kommt, dass bei einer solchen Re-Politisierung andere politische Strömungen und gesellschaftliche Klassen erheblich an Gewicht gewinnen könnten (Ringger 2015). Das ist einer der Gründe, warum im bürgerlichen und akademischen Mainstream bislang keine neue ökonomische Theorie Fuss gefasst hat – und dies, obwohl der Neoliberalismus und seine geldpolitische Ausprägung, der Monetarismus, in der Finanzkrise 2007/2008 ein eigentliches Waterloo erlebt haben.
Doch nun zeichnet sich eine Wende ab. Zum ersten Mal seit den Zeiten des Keynesianismus scheint sich mit der Modern Monetary Theory ein Begriff durchzusetzen, hinter dem sich eine bedeutende Anzahl bekannter Ökonom*innen versammelt und mit dem ein ausreichend kohärentes Theoriegebäude verbunden ist (u. a. Mitchel/Fazi 2017; Kelton 2020; Höfgen 2020). Auffällig ist überdies, dass viele Theoretiker*innen der MMT eine pointiert progressive Agenda befürworten, deren Eckpfeiler die Vollbeschäftigung (Stichwort Jobgarantie, stellvertretend Tcherneva 2020), ein Green New Deal und eine radikal erneuerte Rolle des Staates sind. So ist beispielsweise die MMT-Vertreterin Stephanie Kelton eine wichtige ökonomische Beraterin der US-amerikanischen Linken um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez – einer Strömung der US-Demokrat*innen, die in den nächsten Jahren die politische Agenda der USA mitbestimmen wird. Und die Biden-Administration inklusive der US-Zentralbank Fed überraschen in den ersten Amtsmonaten mit Programmen, die von neoliberaler Seite bereits als MMT-hörig «diskreditiert» werden.