Revolution und Eigentum im klassischen Anarchismus
«Revolutionen brauchen eine tragende Idee, wenn sie etwas anderes sein sollen als mehr oder minder pompöser Unfug.» (Schumpeter 1920/21, 305)
«Die Revolution um der Revolution willen zu verfolgen, ist sinnlos. Das Einzige, was die Revolution rechtfertigt, ist es, das Leben der Menschen besser zu machen.» (Kuhn 2017, 194)
Folgt man Schumpeter und Kuhn, dann bedarf eine Revolution einer «tragenden Idee», die sich mit dem Ziel vermitteln lässt, «das Leben der Menschen besser zu machen». Das Leben der Menschen besser zu machen, verdichtet sich für den Anarchismus in der Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens für alle Menschen: «Zu leben, wie es einem gefällt, ist ein Wunschtraum vieler Menschen. Mitmenschlich und sozial ist er dann, wenn er die Ausbeutung anderer Menschen aus- und alle Menschen einschliesst.» (Giessler Furlan 2018, 60) Entscheidend für den Anarchismus ist nun die Vorstellung, dass eine freiheitlich-egalitäre Gesellschaft «nur durch Freiheit geschaffen werden» könne (Bakunin 1873, 339), d. h. nicht durch das Errichten einer neuen Herrschaft, denn «als Regierung wären wir sicherlich nicht besser als die anderen. Wir wären vielleicht sogar eine noch grössere Gefahr für die Freiheit, denn, überzeugt wie wir sind, Recht zu haben und das Richtige zu tun, wären wir als wahre Fanatiker geneigt, alle, die nicht wie wir denken und handeln würden, als Konterrevolutionäre und Feinde des Gemeinwohls zu betrachten» (Malatesta 1931, 236). Der Anarchismus beschrieb sich daher als «Partei der Freiheit par excellence, die Partei der freien Entfaltung, die Partei gesellschaftlichen Experimentierens» (Malatesta 1894, 37). Die Möglichkeit des Experimentierens setzt jedoch die Zerstörung jener Strukturen, die Herrschaft strukturell absichern, voraus. Wenngleich man sich mit Blick auf die Zukunft als «Gegner absoluter Festlegungen» verstand (Schwitzguébel 1880, 213), ging es dennoch darum, im Verlauf des Emanzipationskampfes zu verhindern, dass sich autoritäre Strukturen (erneut bzw. wieder) bilden. Deshalb sei es nötig, sich die «grossen Linien einer neuen Gesellschaftsordnung» vor Augen zu führen, um dies zu verhindern (Schwitzguébel 1880, 213), weshalb man festhielt: «Wenn wir die Ordnung der Dinge besprechen, welche unserer Meinung nach aus der kommenden sozialen Revolution entstehen muss, sagt man uns oft: ‹All dies ist blosse Theorie, um die wir uns jetzt nicht zu kümmern haben; lassen wir dies beiseite und beschäftigen wir uns mit praktischen Dingen (zum Beispiel mit Wahlfragen). Bereiten wir die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse vor und später werden wir schon sehen, was aus der Revolution entstehen wird.» (Kropotkin 1882, 170)