Über den Ukraine-Krieg als postkolonialer Konflikt

Philipp Casula
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Solidarität sollte unterdrückten Völkern gehören und nicht imperialen Mächten, hiess es im vorhergehenden Heft des Widerspruchs (Perekhoda 2023). Und dennoch zögern manche im linken Spektrum, sich solidarisch mit der Ukraine zu erklären. Das hat unterschiedliche Ursachen, darunter die Schwierigkeit, den Konflikt als antiimperialen Befreiungskampf zu betrachten. Hier sollen drei Punkte näher diskutiert werden: das Verhältnis postsowjetisch-postkolonial, der russische Neoimperialismus gegenüber der Ukraine, und das noch oft von kolonialen Vorstellungen geprägte westliche Denken. Im Zentrum dieses Beitrages steht somit die Frage, welchen Mehrwert die Interpretation des Ukrainekonflikts durch den Blickwinkel der Postcolonial Studies erzeugt. Postkolonialität bezeichnet das Fortbestehen kolonialer Ausbeutungs- und Herrschaftsstrukturen in der Gegenwart (Castro Varela/Dhawan 2015, 78). Im Folgenden soll argumentiert werden, dass zwischen der Ukraine und Russland genau solche Strukturen andauern. In dem Krieg geht es für die Ukraine darum, sich davon zu befreien, für Russland darum, sie zu erneuern.

Zum Verhältnis postkolonial-postsowjetisch
Anfangs ignorierten postkoloniale Forscher:innen weitgehend die russische und sowjetische Erfahrung. Umgekehrt ignorierten die Spezialist:innen für Russland und die Sowjetunion die Einsichten der Postcolonial Studies (Chioni Moore 2011). Erstere beschäftigten sich mit den westeuropäischen Imperien und Kolonien und vernachlässigten dabei das zaristische Russland, unter anderem weil dieses «seine imperialen Territorien beinahe ausschliesslich