Von Maschinen anders lernen
Aneignung und Enteignung in Mensch-Maschine Assemblagen
Den meisten Menschen gilt Technik immer noch als Mittel zum Zweck. Doch Technik ist mehr als ein Werkzeug. Mit (Fahr-)Rad, Kino, Atombombe, Invitro-Fertilisation oder PC hat sich unsere Selbst- und Weltwahrnehmung geändert. Und gleichzeitig entstehen neue Technologien, weil sich unsere Wahrnehmung von Welt und Selbst ändert. Heute leben wir in einer Technowissenschaftskultur (Haraway 1995; Weber 1999; Böhme 2000), in der es keine wichtigen kulturellen oder gesellschaftlichen Phänomene gibt, die nicht wesentlich von Technik geprägt sind. Der Aktivist und Science-Fiction-Autor Cory Doctorow macht das am Beispiel des Internets anschaulich: «Es gibt viele Kämpfe, die wichtiger sind als der Kampf um die Regulation des Internets. Überwindung der Rassendiskriminierung, Gleichheit der Geschlechter und der sexuellen Präferenz; Aufhebung der Schere von Arm und Reich; die Klimakrise – das alles ist wichtiger als der Kampf um die Regulation des Internets. […] Ausser, dass das Internet darüber bestimmt, wie diese Kämpfe gewonnen oder verloren werden. Ohne ein freies, faires und offenes Internet werden die Verfechter*innen dieser wichtigen Kämpfe für Gerechtigkeit von den mächtigen Verteidiger*innen des Status Quo ausmanövriert und überholt werden. Der Kampf um das Internet ist nicht der wichtigste, aber er ist der grundlegendste.» (Doctorow 2015; Übers. JW)
Bis heute bleiben Technik und ihre Bedeutung häufig unsichtbar – man denke an Wasser- und Stromleitungen, Serverfarmen, Handynetze, aber auch an den Facebook Newsfeed oder den Google Such-Algorithmus. Gleichzeitig leben wir Technik auf intimste Weise, denn wir agieren in multiplen und komplexen Mensch-Maschine-Gefügen bzw. Assemblagen – in denen u. a. die Waschmaschine, das Smartphone, die Menstruationstasse oder das «Navi» eine zentrale Rolle spielen, indem sie Handlungen sowie Handlungsabläufe wesentlich mitkonfigurieren. In diesen Assemblagen verschränken sich menschliche Praktiken und maschinelle Prozesse, zugleich sind sie aber auch in Narrative (z. B. der Effizienz, der Sicherheit, der Innovation etc.) eingebettet. Diese Technik ist weder gut noch böse noch neutral - worauf die Science & Technology Studies (STS) schon in den 1980er-Jahren hingewiesen haben. In ihr sind Modelle, Interessen, Werte eingeschrieben, die über Teilnahmechancen entscheiden, Aneignungsweisen mitkonfigurieren und Enteignungen befördern können. Forscher*innen wie Donna Haraway, Lucy Suchman oder Langdon Winner formulierten damals die Hoffnung auf eine bessere «Technopolis» (Winner 1978), auf eine demokratisch-partizipative Technikgestaltung und solidarische(re) Mensch-Maschine-Assemblagen. Wie sieht es nun, im Zeitalter des disruptiven «Überwachungskapitalismus» (Zuboff 2015) – und unter den Bedingungen der Pandemie – mit unseren Hoffnungen und Befürchtungen aus?