Wem der Text gehört

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Vor noch nicht allzu langer Zeit stellte das Buch europaweit eine durch gesetzliche Eingriffe geschützte Ware dar. Unter anderem legte die – in der Schweiz 2007 abgeschaffte – Buchpreisbindung den Preis eines Buches fest, der von den Buchhandlungen weder über- noch unterschritten werden durfte. Begründet wurde diese Regulation des Marktes damit, dass das Buch ein «nationales Kulturgut» sei (Schönstedt / Breyer / Mayländer 2010, 44). Der gebundene Buchpreis geriet jedoch unter Druck, als der EU-Binnenmarkt entstand, der Wettbewerbsbeschränkungen für den Handel zwischen Mitgliedsstaaten untersagt (ebd.). Zusammen mit dem Internetbuchhandel setzte dies der Buchbranche massiv zu.

Die in den europäischen Ländern unterschiedlich angepassten rechtlichen Grundlagen des Buchhandels werden im vorliegenden Artikel nicht im Einzelnen in den Blick genommen. Sie dienen aber als einleitendes Beispiel für die grossen strukturellen Veränderungen, unter denen Bücher geschrieben wurden und werden. Im Zentrum des vorliegenden Artikels stehen Arbeitsbedingungen und ökonomische Konzentrationsprozesse im literarisch-künstlerischen Feld sowie die von linken Autor*innen aufgeworfene Frage, in welchem Verhältnis individuelle Autorschaft und kollektive Arbeitsformen – nicht zuletzt unter digitalen Vorzeichen – stehen.
 

Denn wovon lebt die Autorin?

Natürlich ist es nicht so, dass es je ein goldenes Zeitalter für Schriftsteller*innen gegeben hätte. Auch als das Buch noch ein «nationales Kulturgut» war (dem an dieser Stelle im Übrigen keineswegs nachgetrauert wird), kostete das Leben Geld. Davon zeugen die «Bettel- und Brandbriefe berühmter Schriftsteller», die Birgit Vanderbeke unter dem Titel Ich bin ganz, ganz tot, in vier Wochen herausgegebenen hat (Vanderbeke 2006). Vanderbeke selbst steht für diese Problematik: Selbst nach Erhalt des Bachmannpreises und der Veröffentlichung ihres fünften Buches Mitte der 1990er-Jahre erhielt die Autorin vom Verlag «eine Jahresabrechnung über etwas mehr als dreitausend Mark» (Vanderbeke 2006, 11).

Als der Dichter noch Sänger und Verkünder göttlicher Weisheit war, benötigte er einen Mäzen, um seiner Tätigkeit nachgehen zu können. Der freie, bürgerliche Autor emanzipierte sich von solch einengenden feudalen Bedingungen und tauschte sie gegen das angespannte Verhältnis von Kunst und Markt.[i] An Ideen, wie man auf selbigem bestehen konnte, mangelte es nicht: So lud 1773 etwa Friedrich Gottlieb Klopstock zur Subskription einer Zeitschrift ein, um «die Gelehrten» anstelle der Buchhändler zu «Eigenthümern ihrer Schriften» zu machen.[ii] Dieser Marketing-Schachzug fand zur selben Zeit statt, wie andernorts die Genie-Ästhetik erfunden wurde, gemäss der der Dichter sein Werk ganz aus sich selbst schöpft. Dieses widersprüchlich mit dem Aufklärungsprojekt verbundene, autonome Künstlergenie versprach gleichermassen ästhetische Innovation, Emanzipation von den adligen, das Herrscherlob umfassenden Bedingungen und Distanz zu den Niederungen des Marktes: Kunst sollte zweckfrei und auf keinen Fall um des ökonomischen Erfolges willen erzeugt werden – eine Idealvorstellung, die wir auch heute (unabhängig von ihrem Realitätsgehalt) noch anerkennen.

 

[i] Die männliche Form ist jeweils bewusst gewählt. Autorinnen prägten bis in die jüngere Vergangenheit weder die Literatur, nach der Epochen konstruiert wurden, noch die Literaturtheorie – dies, obschon es schreibende Frauen seit je gibt.
[ii] Zitiert nach Pape, Helmut: Die gesellschaftlich-wirtschaftliche Stellung F. G. Klopstocks, Bonn 1961, 405.