Wie Datenrohstoffe geschürft werden
Enteignung und Überwachung im digitalen Kapitalismus
Die weltweit grössten Unternehmen (nach Marktwert) sind fast ausschliesslich digitale Unternehmen: Microsoft (1200 Milliarden US-Dollar Marktwert), Apple (1113 Milliarden), Amazon (971 Milliarden), Alphabet/Google (799 Milliarden), Alibaba (522 Milliarden), Facebook (475 Milliarden) und Tencent (469 Milliarden) (PwC 2020, 26). Was haben diese digitalen Unternehmen gemeinsam? Sie stehen stellvertretend für einen grundlegenden Wandel, den der Kapitalismus am Anfang des 21. Jahrhunderts vollzieht. Aktuelle Zeitdiagnosen verwenden dafür Begriffe wie «digitaler Kapitalismus» (Staab 2016; 2019), «Plattform-Kapitalismus» (Srnicek 2017), «Überwachungskapitalismus» (Zuboff 2015; 2019) oder «Informationskapitalismus» (Mason 2016). Gemeinsam ist diesen Begriffen, dass sie den industriellen Kapitalismus mit seiner industriellen Produktionsweise als im Verschwinden betrachten, während sie eine neue Art von Kapitalismus erblicken, der auf einer digitalen Produktionsweise beruht.
Traditionell agieren Industrieunternehmen folgendermassen: Sie kaufen Waren ein (hierzu zählt die menschliche Arbeitskraft), die sie zu neuen Waren (wie z. B. Autos) verarbeiten und dann profitträchtig verkaufen. Doch im digitalen Kapitalismus stösst diese industrielle Produktionsweise auf Widersprüche in der Logik der Kapitalakkumulation. Digitale Produkte (Software, Musikdateien, Videos) können nämlich zu «null Grenzkosten» (Rifkin 2014) produziert werden, d. h. sie können im Prinzip kostenlos vervielfältigt und weitergereicht werden. Ohne Preis gibt es aber keinen Profit und somit auch keine Kapitalakkumulation. Was die digitale Kapitalakkumulation schliesslich ermöglicht, sind Daten. Diese entstehen nämlich jedes Mal, wenn digitale Produkte genutzt werden. Die digitalen Unternehmen des 21. Jahrhunderts haben diese digitale Akkumulationslogik verinnerlicht, indem sie sämtliche Daten sammeln, verarbeiten und profitabel verkaufen.
Datenhungrige Überwachung
Die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff beschreibt sehr genau, wie das Sammeln von Daten zum Zweck der Profitgenerierung mit einer zunehmenden Überwachung einhergeht. Die Akkumulationslogik dieses digitalen Überwachungskapitalismus lässt sich sehr gut am Beispiel von Google skizzieren. Zu Beginn (also um die Jahrtausendwende) arbeitete Google nur mit jenen «Verhaltensdaten», die unmittelbar mit der Nutzung von Googles Suchmaschine zusammenhingen. In diesem Stadium spricht Zuboff (2019, 70) von einem Verhaltenswert-Reinvestitionszyklus, d. h. es wurden nur jene Verhaltensdaten «reinvestiert» (also in die hauseigene «Maschinenintelligenz» eingespeist), die die Funktionsfähigkeit der Suchmaschine (also die von Google angebotene Leistung) im Dienste der NutzerInnen verbesserten. Obwohl Google in diesem Stadium bereits sogenannte «Datenabgase» sammelte, betrachtete das Unternehmen diese Art von Verhaltensdaten eher als Bei- oder Abfallprodukt der Suchmaschinennutzung und schenkte ihnen daher keine besondere Aufmerksamkeit. In diesem Stadium herrschte in Zuboffs Worten noch ein «Gleichgewicht der Kräfte» bzw. eine Art von «Reziprozität» zwischen Unternehmen und NutzerInnen: Je mehr Leute Googles Suchmaschine nutzten, desto mehr Verhaltensdaten ergaben sich zur Verbesserung der Suchfunktion, was wiederum bestehende NutzerInnen zufriedenstellte und neue NutzerInnen anlockte.