Zeitenwende oder "gewöhnlicher" interimperialistischer Krieg?

Franco Cavalli
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Der 24. Februar 2022 soll mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine Zeitenwende eingeleitet haben. Mit diesem Schlagwort und einem damit verbundenen fast hysterischen Propagandanebel systemkonformer Leitmedien wurden in praktisch allen wichtigen kapitalistischen Ländern, inklusive der Schweiz, alsbald enorme Erhöhungen der Militärausgaben gerechtfertigt. Beispielhaft, was in der BRD geschehen ist. Nach kurzem Widerstand knickte Bundeskanzler Scholz bald unter dem gewaltigen Druck der national und international entfesselten Propaganda zusammen und beschloss eine Erhöhung des Militäretats um satte 100 Milliarden Euro. Dieses Vorgehen erinnert natürlich an den fundamentalen Verrat der SPD
im Jahre 1914, als sie plötzlich den Kriegsausgaben zustimmte. Aber auch geopolitisch ist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ersten Weltkrieg nicht ganz abzustreiten. Damals löste zwar Deutschland den Krieg aus und verübte sofort furchtbare Massaker, vor allem in Belgien. Nichtsdestotrotz erklärten führende linke Politiker:innen, darunter Liebknecht, Luxemburg und Lenin: «Dies ist nicht unser Krieg.» Eine Stellungnahme, die jetzt von einem beträchtlichen Teil der Linken, vorwiegend in der südlichen Hemisphäre, aber auch im lateinischen Teil Europas, mit dem Schlagwort «weder mit Putin noch mit der Nato» wieder übernommen wurde. Denn der Konflikt in der Ukraine kann als Zuspitzung der Krise der neoliberalen Weltordnung und als Zusammenstoss konkurrierender geopolitischer imperialer Interessen gedeutet werden – unbeachtet des Rechtes der dortigen Bevölkerung, sich gegen den Angreifer zu verteidigen.