Zur Lage und strategischen Orientierung der Gewerkschaften

Nicole Mayer-Ahuja
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1. Langjährige Krise der Gewerkschaften – ungleich ausgeprägt
Hintergrund aktueller gewerkschaftlicher Politik ist sicherlich die viel diskutierte «Krise der Gewerkschaften», die im Wesentlichen zwei Dimensionen hat: Mitgliederverluste, welche die Organisationsmacht der Gewerkschaften empfindlich schwächen (aktuell liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad in Deutschland bei rund vierzehn Prozent) – und eine politische Grosswetterlage (spätestens seit den 1980er-Jahren, verschärft seit 1990), die kollektive Regulierung als Freiheitsentzug und ungerechtfertigte Einschränkung individueller Wahlmöglichkeiten geisselt und die Gewerkschaften als Dinosaurier eines angeblich überwundenen Industriezeitalters sowie als Pressure Group der sprichwörtlichen alten weissen Männer erscheinen lässt, die ihre überkommenen Privilegien verteidigen. Diese Schwächung betrifft gewerkschaftliche Politik insgesamt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass, teilweise in Abhängigkeit von der strukturellen Macht von Beschäftigten in verschiedenen Teilen der Arbeitswelt (Schröder/Keudel, 2008).