Zwischen Menschenrechtsbellizismus und neuem Nationalismus
Ein «neues Stadium» der Imperialismusdiskussion
1. Drei Wellen der Imperialismustheorie
Der Politikwissenschaftler Jan Otto Andersson (2001) unterscheidet drei Wellen imperialismustheoretischer Debatte. Sie alle reagierten auf Krisen des Kapitalismus und ihnen entsprechende Veränderungen in den Aussenbeziehungen kapitalistischer Zentrumsstaaten untereinander sowie ihrem Verhältnis zur (teilweise noch nicht kapitalistischen) Peripherie. Die imperialismustheoretischen Wellen entsprachen somit unterschiedlichen Stadien des Imperialismus.
Die erste – oder auch klassische – Welle beginnt um die Wende zum 20. Jahrhundert und erlebt einen Höhepunkt während des Ersten Weltkriegs. Zum einen wird die Kolonialfrage intensiv diskutiert. Zum anderen der Zusammenhang zwischen einem sich zum «Monopolkapitalismus» entwickelnden Kapitalismusmodell, das von einem starken Druck zu Zentralisierung und Konzentration gekennzeichnet ist, und der wachsenden Konkurrenz zwischen den Hauptländern der kapitalistischen Entwicklung. Angesichts des Weltkriegs hoben sozialistische Autor:innen wie Lenin, Luxemburg, Bucharin und andere den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Krise und zwischenimperialistischem Krieg hervor. Im Kontext der Kriegsfrage erfuhr – schon vor 1917 – auch die ebenfalls seit der Jahrhundertwende (spätestens seit der Russischen Revolution von 1905) in der sozialistischen Arbeiter:innenbewegung Europas kontrovers diskutierte Revolutionsfrage eine neue Zuspitzung: «Der Hauptfeind steht im eigenen Land»,